"Eine Reparatur bringt Menschen zusammen"
Unter der Woche leitet der Biophysiker Wolfang Heckl das Deutsche Museum und lehrt Wissenschaftskommunikation an der TU München. Doch am Wochenende kann er seiner Leidenschaft frönen: dem Reparieren alter Elektrogeräte. In seinem Buch „Die Kultur der Reparatur“ fordert er die Abkehr von der Wegwerfgesellschaft – und wird zu einem Sprachrohr der Bewegung, die defekte Gegenstände recycelt oder repariert, anstatt sie wegzuwerfen
BISS - Juli/August 2014
Interview: Mauritius Much
Herr Heckl, was fasziniert Sie daran, alte Radios oder kaputte Kaffeemaschinen zu reparieren?
Mir gefällt einfach die Kombination von verschiedenen Fähigkeiten, die man mitbringen muss. Denn so eine Reparatur erfordert nicht nur handwerkliches Geschick, sondern setzt auch analytisches
Denken, Intelligenz und Erfindergeist voraus. Schließlich muss man herausfinden, was für ein Teil einer Kaffeemaschine defekt ist und wie man es reparieren kann. Zudem macht mich eine
erfolgreiche Reparatur sehr glücklich. Ich fühle mich autark, weil ich etwas selbst geschafft habe.
Wann hat Sie diese Leidenschaft gepackt?
Schon in meiner Kindheit. Das habe ich wohl von meinem Vater, der in seiner Werkstatt auch immer an alten Fernsehapparaten oder anderen Elektrogeräten rumgebastelt hat.
Was war das erste Gerät, an das sie sich gewagt haben?
Als meine Eltern einmal ausgegangen waren, habe ich mit fünf Jahren ihren Radioapparat in seine Einzelteile zerlegt. Mich hat interessiert, wie jemand aus diesem kleinen Gerät heraussprechen
kann. Das habe ich zwar nicht herausgefunden, dafür aber den Magneten des Lautsprechers, mit dem ich Nägel anziehen konnte, entdeckt. Leider konnte ich das Gerät später nicht mehr zusammenbauen.
Das gab mächtig Ärger, oder?
Das hatte ich auch befürchtet. Doch meine Eltern haben großartig reagiert. Sie schimpften nicht, sondern sagten: „Aus Dir wird noch mal was, weil Du wissen möchtest, wie die Dinge funktionieren.“ Das imponiert mir heute noch. Deshalb finde ich, dass Kinder und Jugendliche ruhig Dinge auseinanderbauen oder reparieren sollen. Das ist die beste Voraussetzung dafür, dass sie später Einfälle haben, von der die Menschheit profitieren wird.
Damit diese Menschheit auch in Zukunft auf der Erde gut leben kann, plädieren Sie für eine „Kultur der Reparatur“. Was stellen Sie sich genau darunter vor?
Wir sollten versuchen, kaputte Taschenlampen oder Wecker wiederherzustellen, anstatt sie sofort wegzuwerfen und neue zu kaufen. Denn wir bewohnen einen Planeten mit begrenztem Raum und begrenzten Ressourcen. Wenn dort sieben Milliarden Menschen in Zukunft überleben wollen, werden wir 50 Prozent aller technischen Geräte reparieren müssen. Deshalb sollten wir schleunigst zu einer Kultur des Reparierens von Gebrauchsgegenständen zurückkehren. Damit hat die Menschheit 100.000 Jahre gut gelebt. Nur in den letzten 30 Jahren haben wir das Reparieren verlernt und sind zu einer Wegwerfgesellschaft geworden.
Warum können wir denn nicht mehr reparieren?
Weil wir glaubten, es nicht mehr beherrschen zu müssen. Es schien, dass der Menschheit die gesamte Welt gehörte und dort unbegrenzte Ressourcen zur Verfügung stünden. Niemand hat sich darum
gekümmert, ob ein Auto zu viel Kohlendioxid ausstößt oder zu viel Benzin verbraucht. Heute kommt das Bewusstsein, die knappen Ressourcen zu schonen, zu recyceln und zu reparieren, wieder zurück.
Kein Wunder, schließlich hat uns die Natur das erfolgreiche Prinzip der Reparatur selbst vorgegeben: Keine Sekunde könnten wir überleben, wenn unser Körper keine Reparaturmechanismen besäße.
Schneiden wir uns beispielsweise in den Finger, sorgen unsere Zellen dafür, dass sich die Wunde sofort wieder schließt.
Wie wollen Sie es schaffen, dass sich immer mehr Menschen Ihrer „Kultur der Reparatur“ anschließen?
Mit meinem Buch bin ich nur ein Sprachrohr der Reparaturbewegung, die es schon länger gibt und sich sehr schnell ausbreitet. Vor ein paar Jahren haben sich in Holland die ersten Repair-Cafés, in denen Menschen z.B. Fahrräder reparieren oder dies lernen können, gegründet. Heute gibt es in Deutschland bereits 200 solcher Cafés. Hinzu kommt, dass die Bewegung alle Altersgruppen anspricht – den pensionierten Elektrotechniker, der in seiner Werkstatt im Keller gerne an alten Fernsehern rumschraubt, genauso wie einen Teenager, der sich auf Internetplattformen wie „Ifixit“ Bedienungsanleitungen herunterlädt, um den Akku seines iPhones selbst wechseln zu können. Auch immer mehr Frauen kommen in die Repair-Cafés, um alte Kleider aufzupeppen oder Stricken zu lernen. Es ist eine globale, aber auch moderne Bewegung, weil sich Menschen durch das Internet Hilfe für ihre Reparatur suchen.
Aber wie wollen sie es schaffen, große Firmen ins Boot zu holen? Schließlich verdienen sie gutes Geld damit, dass ein Handy nach zwei Jahren kaputt ist und sich die Menschen dann immer sofort
das neueste Smartphone kaufen.
Natürlich bräuchte es dafür eine Veränderung des Denkens seitens der Industrie. Sie sollte dazu verpflichtet sein, Handys oder Elektrozahnbürsten so zu gestalten, dass sie reparaturfähig sind und
entsprechende Ersatzteile zur Verfügung stehen.
Aber ist das nicht ein frommer Wunsch?
Das finde ich nicht. Denn Sie missachten dabei den Einfluss der Kunden auf die Produktgestaltung. Wir sind doch selbst schuld, wenn wir eine Kaffeemaschine für 12,90 Euro kaufen. Denn für den Preis kann kein Hersteller der Welt ein Gerät mit Materialien produzieren, die 20 Jahre halten. Natürlich gibt es Menschen, die sich eine Kaffeemaschine für 200 Euro nicht leisten können. Aber die Mehrheit könnte das problemlos. Sie geizt aber trotzdem und kauft die Billigmaschine.
Wir Verbraucher müssten also bereit sein, mehr Geld in die Hand zu nehmen?
Ganz genau. Denn am Ende lohnt es sich. Vor 50 Jahren hat sich meine Mutter z.B. einen Mixer gekauft. Mittlerweile gehört er mir. Das Gerät hat sicher mehrere hundert Mark gekostet, läuft aber immer noch. Vor zwei Jahren habe ich dafür sogar noch ein Ersatzteil bekommen. Der Hersteller macht also erst mit meiner Mutter und heute mit mir ein Geschäft. Ein solches Modell, bei dem eine Firma für ihre langlebige Wertarbeit einen höheren Preis verlangen darf, finde ich sehr sinnvoll.
Ihre Maxime lautet: Reparieren statt wegwerfen. Ist es jedoch nicht manchmal sinnvoller, eine alte, stromfressende Waschmaschine nicht mehr in die Werkstatt zu geben und sich dafür eine neue,
energiesparende anzuschaffen?
Selbstverständlich gibt es bei jedem Gerät einen Zeitpunkt, zu dem sich eine Reparatur nicht mehr lohnt. Aber eine Waschmaschine, die mit geringem Aufwand repariert werden könnte, einfach
wegzuschmeißen, nur weil man sich eine neue mit geringerem Energieverbrauch kaufen will, ist zu kurz gedacht. Denn man muss auch berücksichtigen, welch enorm großer Ressourcenaufwand es für die
Firmen bedeutet, eine neue Waschmaschine herzustellen. Insofern warne ich davor, pauschal ein neues Gerät zu kaufen, wenn das alte mal nicht funktioniert.
Muss eigentlich in Ihrer „Kultur der Reparatur“ jeder Mensch Elektrogeräte selbst wiederherstellen können?
Nein. Ich rufe nicht dazu auf, dass jeder alles reparieren können soll oder muss. Mir geht es darum, alte Geräte wertschätzen zu lernen und sie im Bedarfsfall zum Handwerker zu geben, statt sie
gleich in den Müll zu werfen. Auch sage ich nicht, dass man alles reparieren kann: Wenn in einem Auto nach 20 Jahren ein Chip kaputt geht, wird man ihn nicht wiederherstellen können. Für die
Zukunft gibt es aber Hoffnung: Durch 3D-Drucker werden wir Ersatzteile selbst fertigen können.
Sie selbst jedoch lieben es, an alten Radios rumzuschrauben. Auf welche Reparatur sind Sie heute noch stolz?
Es freut mich heute noch, dass ich vor Jahren unsere Toilettenspülung reparieren konnte. Sie ist ununterbrochen gelaufen. Meine Frau wollte schon einen Handwerker holen, doch ich habe es lieber
erst selber probiert. Irgendetwas war an der Dichtung kaputt, das stand schnell fest. Aber ob es an der Gummidichtung selbst, dem Dichtmechanismus oder dem verkalkten Spülkasten lag, wusste ich
nicht. Also habe ich den ganzen Spülkasten zerlegt und saß zwei Tage davor, bis ich wusste, wie so eine Toilettenspülung funktioniert und was für ein Teil der Dichtung ich austauschen musste.
Weil Sie das herauszufinden wollten, konnte Ihre Frau nicht aufs Klo gehen?
Gottseidank hatten wir noch eine Gästetoilette.
Was hält Ihre Frau denn überhaupt von Ihrem Hobby?
Wenn ich wieder mal von einem italienischen Flohmarkt mit einer Wickelmaschine für elektrische Spulen zurückkomme, schüttelt sie schon den Kopf und fragt: „Was hast Du denn da schon wieder für
ein altes Zeug gekauft?“ Aber sie akzeptiert es, weil ich im Gegenzug ihre Reparaturlisten zügig abarbeite. Wenn beispielsweise der Wasserhahn tropft, schreibt sie das auf – und ich kümmere mich
darum.
An welcher Reparatur sind selbst Sie gescheitert?
Das passiert leider nicht selten. Erst kürzlich wollte ich einen Elektromotor für eine Uhrmacherdrehbank reparieren. Doch die Kupferkontakte hatten sich gelöst. Da war nichts mehr zu machen –
auch nicht mit Hilfe von einem Bekannten, der sich mit der Materie auskannte. Ansonsten hilft es aber oft weiter, sich an Freunde zu wenden, wenn man bei einer Reparatur nicht weiterkommt. Am
schönsten ist es ohnehin, mit einem Freund gemeinsam an einem alten Fernseher herumzuschrauben.
Wie oft reparieren Sie denn mit Freunden in Ihrer Werkstatt im Keller?
Mit dem Astronauten Ulrich Walter treffe ich mich regelmäßig samstags nachmittags. Wir liegen am Boden, hören Musik, trinken ein Glas Rotwein, unterhalten uns und nehmen uns den Schaltplan eines
Fernsehers vor. Am Abend stellen wir zwar oft fest, dass wir den Fernseher nicht reparieren konnten. Aber wir hatten trotzdem eine schöne Zeit. So eine Reparatur ist nämlich auch ein soziales
Phänomen. Sie bringt Menschen zusammen.