Chartbreaker
Bee Gees, Britney Spears und Maroon 5 haben etwas gemeinsam: Ihre Nummer-eins-Hits läuteten Krisen ein. Denn je ruhiger die Rhythmusstruktur, desto stärker die Turbulenzen an der Börse, behauptet ein US-Wissenschaftler.
Financial Times Deutschland / 12. Februar 2009
Von Mauritius Much
Jetzt ist es wissenschaftlich belegt: Die Turbulenzen der Finanzkrise hätte man viel früher bemerken können, wenn man nur genau zugehört hätte. Und zwar nicht den paar Wissenschaftlern, die schon früh gemahnt haben; man hätte einfach nur hinhören müssen, was im Radio läuft. Denn es besteht ein Zusammenhang zwischen der Rhythmusstruktur von Nummer-eins-Hits und den Ausschlägen an den Aktienmärkten, behauptet der amerikanische Finanzwissenschaftler Phil Maymin von der New York University.
Der 33-Jährige hat alle US-Jahrescharts von 1958 bis 2007 untersucht und festgestellt: Nummer-eins-Hits mit gleichmäßiger Rhythmusstruktur nehmen Turbulenzen an den Börsen vorweg. Würde also etwa Billy Idol, dessen "White Wedding", "Rebel Yell" oder "Cradle of Love" immer dem gleichen Rhythmus folgen, in diesem Jahr ein unverhofftes Comeback landen, dürfte die Finanzkrise auch 2010 unvermindert anhalten.
Maymin entschied sich bewusst gegen das Wirtschaftswachstum als Vergleichskriterium, sondern für die Volatilität der Aktienmärkte. Seiner Meinung nach drückt dies besser die Ambivalenz eines Jahres aus. Selbst wenn es von Januar bis November nur bergab gehe, könne sich ja der Dezember so gut entwickeln, dass die Jahresbilanz am Ende doch positiv ausfällt. Zudem beeinflusse die Volatilität unser aller Leben; je turbulenter es zugehe an den Börsen, desto häufiger schaue man nach dem eigenen Portfolio.
Der Finanzwissenschaftler ließ für seine Untersuchung eine Computersoftware jeden Song in viele Beats zerlegen. So konnte er sehen, ob der Rhythmus eher gleich bleibt oder sich ständig ändert. Dann verglich er die durchschnittlichen Beatwechsel der Jahreshits mit den Jahresschwankungen am US-Aktienmarkt - und war überrascht. "Es gibt eindeutig einen negativen Zusammenhang", sagt Maymin. Er könne zwar nicht sagen, ob die Musik die Henne oder das Ei ist, aber klar sei eben zum einen: Je größer die Turbulenzen an den Finanzmärkten, desto gleichmäßiger die Rhythmen der Hits. Und auch umgekehrt gilt: Je ruhiger die Märkte, desto experimenteller die Chartsongs. Dabei ist unerheblich, ob die Songs schnell oder langsam sind oder aus der Popecke oder dem Heavy-Metal-Bereich stammen.
Maymin glaubt, dass sich die Stimmung der Menschen durch den Musikgeschmack ausdrückt: Wenn sie von einer Wirtschaftskrise gebeutelt werden, sehnen sie sich nach Ruhe und finden sie in gleichmäßigen Songs wie "Staying Alive" von den Bee Gees Ende der 70er-Jahre. Dagegen sind unruhige Lieder wie Alice Coopers "School's out" reizvoll, wenn sich die Menschen wie 1972 wirtschaftlich keine Sorgen machen müssen.
Mit Hilfe der Hitsingles kann Maymin auch prognostizieren, wie sich die Märkte 12 bis 24 Monate danach entwickeln werden. So erschienen 1985 viele Hits mit gleichmäßigem Rhythmus wie "Dress you up" von Madonna oder "Take on Me" von A-Ha. Zwei Jahre später brachen die Finanzmärkte ein. Britney Spears' "Baby one more time" läutete bereits 1999 das Ende der Dotcom-Blase ein. Und auch die derzeitige Finanzkrise kündigte sich bereits 2006 und 2007 durch "Do it to it" der R&B-Gruppe Cherish und "Makes me wonder" von Maroon 5 an.
Für das Jahr 2009 kann er nur eine bedingte Entwarnung geben: "Die Krise wird schwächer als letztes Jahr. Dennoch bleiben die Märkte weiter unruhig." Seine Prognose macht Maymin an der Nummer eins der US-Charts vom 31. Dezember 2008 fest: "Just dance" von Lady Gaga - ein sehr gleichmäßiger Dancesong mit wenig Rhythmuswechseln.