Außer Atem
Frankfurter Rundschau / 8. Mai 2008
Von Mauritius Much
Etwas spektakulärer hätte ich mir den Höhentrainingsraum schon vorgestellt. Ich dachte an eine fensterlose Zelle, stattdessen öffne ich eine Glastür und betrete ein normales Fitnessstudio mit zwei Laufbändern und zwei Trainingsrädern. Doch mit einem Schritt stehe ich nicht mehr auf 519 Metern über dem Meeresspiegel in München-Schwabing, sondern auf 4800 Höhenmetern. Als ob mich ein Hubschrauber auf dem Mont Blanc abgesetzt hätte. Den Effekt schafft der Stickstoff, der permanent in den Raum gepumpt wird und den Sauerstoffgehalt der Luft wie auf dem höchsten Berg der Alpen hält.
Hier drin will ich herausfinden, wie mein Körper auf große Höhen reagiert und wie weit ich es nach oben schaffe - ohne künstlichen Sauerstoff. Ganz so wie Reinhold Messner und Peter Habeler heute vor 30 Jahren die 8848 Meter des Mount Everest bestiegen haben. Ein Gerät neben dem Laufband beginnt zu piepen. Es hört sich an wie der Countdown für einen Skifahrer im Starthäuschen. Dann rollt das Band an und ich gehe los.
Die Luft fühlt sich dichter an als draußen, aber das Gehen strengt mich nicht an. Wie wenn ich locker auf einem mäßig steilen Forstweg auf einen Berg ginge. Um mich nicht zu überfordern, hat
Nikolaus Netzer, Lungenarzt und Spezialist für Höhentraining, nur eine Steigung von 8 Prozent am Laufband eingestellt. Die ersten Minuten auf 4800 Metern hätte ich mir schlimmer
vorgestellt.
Nach fünf Minuten klippt mir Netzer ein winziges Messgerät an den Zeigefinger. Bevor ich in den Trainingsraum ging, hatte ich bei 60 Herzschlägen pro Minute eine Sauerstoffsättigung von 97
Prozent im Blut, jetzt misst er nur noch 73 Prozent bei 106 Schlägen. Das ist verdammt wenig. Kein Wunder, dass der Puls richtig ansteigt.
Mein Körper leidet an einem Sauerstoffmangel, einer Hypoxie. Deswegen pumpt das Herz immer schneller Sauerstoff durch das Blut in die Körperteile. Hält die Hypoxie mehrere Stunden an, bin ich
akut gefährdet, die berüchtigte Höhenkrankheit mit starkem Kopfweh und Erbrechen zu bekommen. Seltsam nur, dass ich von dem angeblichen Sauerstoffmangel überhaupt noch nichts spüre.
Auf dem Fahrrad neben mir sitzt eine junge Frau, die in zwei Monaten auf dem Nanga Parbat stehen will, auf 8125 Metern. Ganz ruhig strampelt sie vor sich hin, obwohl sie schon über eine Stunde
trainiert. Ich dagegen bin erst zwölf Minuten in dem Raum und fange an zu keuchen. Langsam merke ich auch, wie ein leichter Druck auf meine Stirnhöhlen entsteht. Ich bin neidisch, weil ihr das
Training auf mittlerweile 5000 Metern gar nichts ausmacht.
Nach 20 Minuten wird mir etwas schummrig. Ich halte mich am Geländer des Laufbands fest. Fünf Minuten später spüre ich leichte Schmerzen im hinteren Teil des Kopfes.
Es fällt mir immer schwerer, die Schritte gleichmäßig auf das Band zu setzen. Mal rutsche ich nach hinten weg, mal trete ich aus Versehen neben das Laufband. Meine Konzentration lässt nach. Ich
fokussiere mich nur noch auf meine Schritte. Dann piept das Gerät neben mir und das Laufband bleibt stehen.
Eine halbe Stunde ist vergangen. Mein Puls liegt bei 160, die Sauerstoffsättigung bei 68 Prozent. "Das ist genug für heute", sagt Netzer. Auf nur 5200 Meter bin ich gekommen. Da fehlen mir noch
150 Meter bis zum Everest-Basecamp. Von den 3500 Metern bis zum Gipfel will ich gar nicht erst reden.
Ich bin enttäuscht und möchte weiterlaufen, doch dann merke ich, wie mir schwindlig wird. Als ob ich gerade mit einem Karussell gefahren wäre, schwanke ich vom Band und gehe benommen durch die
Glastür. Grinsend kommt Netzer mit meinem Aufnahmegerät hinterher. Zweimal hat er mir mich aufgefordert, es mitzunehmen, aber ich habe es nicht registriert.
Jetzt bin ich doch froh, aufgehört zu haben. Kaum stehe ich hinter der Glastür vor dem Höhentrainingsraum, sind Schwindel und Kopfschmerzen in Sekundenschnelle weg. Im Himalaya hätte ich damit noch während des ganzen Abstiegs zu kämpfen, hier in Schwabing reicht zum Glück ein Schritt vor die Tür.