Überflieger

Rennfahrer Lewis Hamilton ist längst eine Werbemarke - und verhält sich auch wie eine. Ob Flugzeug, Motorhome oder Werberechte: Nichts geht ohne Briefkastenfirma

 

Süddeutsche Zeitung - 7. November 2017

 

Von Elisabeth Gamperl und Mauritius Much

 

Dunkel ist es noch am Morgen dieses verregneten Montags, als um 6.40 Uhr ein roter Jet auf der Landebahn des kleinen Flughafens der Isle of Man aufsetzt. Es ist der 21. Januar 2013, hell wird es auf der Insel zwischen Großbritannien und Irland erst gut zwei Stunden später werden. Das schicke Flugzeug trägt die Kennung G-LCDH: G steht für Großbritannien, die anderen Buchstaben für die Initialen von Lewis Carl Davidson Hamilton.

Tatsächlich ist der britische Formel-1-Star an diesem nasskalten Morgen persönlich an Bord der Bombardier Challenger 605. Hamilton, zwei Wochen zuvor gerade mal 28 Jahre alt geworden, hat sie erst vor Kurzem in Kanada gekauft. Das Vergnügen dieser großen Reise im eigenen Jet teilt der junge Mann mit seiner damaligen Freundin, der US-amerikanischen Popsängerin Nicole Scherzinger.

Die beiden sind ein echtes Glamourpaar und auf den roten Teppichen von Monaco, Paris oder Rom ebenso zu Hause wie in London oder Los Angeles. Aber auf dem Flughafen von Ronaldsway, Isle of Man? Mitten im Nirgendwo der Irischen See?

Dass es hier außerhalb von Ortschaften kein generelles Tempolimit gibt, könnte dem Rennfahrer zwar gefallen, aber der Grund für die Reise an diesen entlegenen Ort ist ein anderer. Es geht ums Geld, um sehr viel Geld. Mit dem Hopser auf die kleine, regnerische Insel und einer zuvor geschickt aufgefädelten Kette von Briefkastenfirmen spart Hamilton 20 Prozent Mehrwertsteuer, die er sonst für seine in Kanada gekaufte Maschine bei der Einfuhr in die Europäische Union zahlen müsste. Umgerechnet 20,3 Millionen Euro hat der Jet damals gekostet. Es geht also um stattliche 4,06 Millionen Euro.

Lewis Hamilton, heute 32, ist gerade erst zum vierten Mal Formel-1-Weltmeister geworden. Er ist der Posterboy der PS-Szene, sieht blendend aus und ist stets gut gekleidet, lässig steht ihm ebenso gut wie elegant, meist trägt er Sonnenbrille. Und seit fast fünf Jahren gehört auch dieser feuerrote Jet mit den schwarz-roten Ledersitzen zu Hamiltons unverwechselbarem Auftritt. „Verdammt, wie ich dieses Flugzeug liebe“, schrieb er unter ein Foto auf der Social-Media-Plattform Instagram.

Und verdammt, wie der Multimillionär die Isle of Man lieben muss!

Die Insel ist zwar nicht offiziell Teil der EU, hat aber ein Zollabkommen mit dem Mitgliedsstaat Großbritannien. Dadurch gilt ein Flugzeug, das über die Isle of Man eingeführt wird, faktisch als in die EU importiert – versteuert wird es aber nach den paradiesischen Regeln der Isle of Man. In diesem Fall offenbar gar nicht.

Das Ding mit den Flugzeugen ist inzwischen ein Geschäftsmodell. Vor zehn Jahren hat die Isle of Man ein Flugzeugregister für kleinere Businessflugzeuge eingerichtet, fast 1000 Jets wurden auf der 83 000-Einwohner-Insel, die viel kleiner ist als das Stadtgebiet von Hamburg, seitdem registriert.

Auf dem kleinen Flughafen kommen normalerweise Angler, Mountainbiker oder Wanderer an, die Insel vermarktet sich als touristisches Outdoor-Revier, für sie hält der Flughafen ein übersichtliches, gemütliches Terminal parat. Die besonderen Gäste jenes 21. Januar 2013 landen dort jedoch nicht, weil sie Urlaub machen wollen – sondern um ihr Flugzeug in die EU zu importieren. 60 Pfund extra kassiert der Zoll so früh am Morgen, und schon um 7.30 Uhr, auch das dokumentieren die Paradise Papers, schickt ein Mitarbeiter der Kanzlei Appleby eine Nachricht über seinen Blackberry: „Zollformular zum Flugzeug geliefert. Fertig zum Abflug.“ Rund eine Stunde nach der Ankunft hebt die rote Bombardier Challenger auch schon wieder ab Richtung Stuttgart, in die Heimat von Mercedes, Hamiltons Arbeitgeber.

Schnell, einfach, diskret: Die Dokumente der Paradise Papers zeigen, dass allein mithilfe der Kanzlei Appleby Flugzeuge im Wert von mindestens 1,47 Milliarden Euro über die Isle of Man nach Europa importiert wurden, die meisten davon wohl zum Zwecke der Steuerminimierung.

Auch Lewis Hamilton spart, wo er kann. Die geleakten Daten zeigen, dass er nicht nur sein Flugzeug, sondern erstaunlich viele Bereiche seines Lebens über Gesellschaften in Steueroasen organisieren lässt. Der Arbeitsvertrag mit dem Mercedes-Rennstall? Läuft über eine solche Firma. Werbe- und Bildrechte? Hält eine andere. Eine dritte Briefkasten-Konstruktion kommt für sein Motorhome zum Einsatz, ein gigantischer Wohn-Truck, in den sich Hamilton während der Grand-Prix-Wochenenden in Europa zurückzieht, Meetings abhält, medizinisch gepflegt wird. Auch dieses Gefährt konnte er erwerben, ohne Mehrwertsteuer bezahlen zu müssen.

Ein kleines, feines Offshore-Reich ist das – organisiert zumindest zum Teil von der Rechtsanwaltskanzlei Appleby, die seit Sonntag im Zentrum der Paradise Papers steht. Wer es sich leisten kann, spart dadurch Millionen allein durch Vermeidung einer Steuer, der die meisten Menschen gar nicht ausweichen können. Egal ob auf Windeln oder Eiscreme, das neue Auto oder einen Laib Brot: Es gibt kein Entkommen vor der Mehrwertsteuer. Genauso gilt das im Grunde für Jets, Boote oder Wohnmobile – wenn, ja wenn es da nicht diese Schlupflöcher gäbe wie die Isle of Man.

Die Landung auf dem possierlichen Flughafen im Süden der Insel ist dabei nur das Finale eines mehrstufigen Steuertricks. Damit sich Hamilton die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr seines Flugzeugs sparen kann, nutzt er ein zuvor angelegtes Geflecht aus Briefkastenfirmen. Der Begünstigte dieser Firmen: Lewis Hamilton. Eine davon muss auf der Isle of Man (IOM) registriert sein. Hamiltons Insel-Filiale heißt Stealth (IOM) Limited und wird von der Anwaltskanzlei Appleby gegründet. „Stealth“ ist ein treffender Name, man kann es mit „Heimlichkeit“ übersetzen.

Das Ziel aller Bemühungen ist, dass die Behörden auf der Isle of Man zu der Ansicht gelangen, dass das Flugzeug für ein reguläres Leasing-Geschäft genutzt wird. Um diesen Eindruck zu erzeugen, braucht man gleich mehrere Firmen. Die Stealth (IOM) Limited least das Flugzeug von einer anderen Briefkastenfirma und verleiht es wiederum an ein weiteres Unternehmen. Von dort chartert es Lewis Hamilton selbst oder eine weitere Offshore-Firma des Briten, wenn der Sportler es benutzen will.

Insgesamt, teilt der Zoll der Isle of Man auf Anfrage mit, seien auf der Insel aktuell 262 solcher Firmen zu Leasing-Zwecken registriert. 231 von ihnen sind laut Zoll zwischen 2011 und 2017 tatsächlich komplett von der Mehrwertsteuer befreit worden: Insgesamt macht das eine Steuerersparnis von umgerechnet heute knapp 900 Millionen Euro. Oder anders ausgedrückt: Verschiedenen EU-Staaten entging nur durch den Flugzeugtrick in der Irischen See möglicherweise eine Summe mit neun Ziffern.

Experten sehen ein Problem darin, dass Hamiltons Firma auf der Isle of Man eine klassische Briefkastenfirma ist, ohne Büro und ohne Personal, gemeldet unter derselben Adresse wie Appleby. Hamiltons Anwälte erklären hingegen, dass es sich nicht um eine Briefkastenfirma handle und das Leasing-Geschäft mit Flugzeugen eine gängige und normale Praktik sei.

Es gibt aber noch zwei weitere Haken an Hamiltons Flugzeugkonstrukt: Selbst nach den eher großzügigen Bestimmungen der Isle of Man müsste der Jet auch an andere Kunden als nur an den Formel-1-Piloten selbst vermietet werden. Um komplett steuerbefreit zu ein, dürfte das Flugzeug zudem wirklich nur dienstlich genutzt werden – also im Falle des Rennsportlers, um damit etwa zum nächsten Grand Prix zu fliegen oder an den Sitz seines Formel-1-Teams im englischen Brackley.

Zumindest in den Paradise Papers ließ sich aber keine weitere Person finden, für die der Jet noch gechartert wird. Dazu schweigen Hamiltons Anwälte. Und sie räumen ein, dass Lewis Hamilton das Flugzeug auch privat nutzt, etwa für Urlaube. Mitte Juli 2017 flog er zum Beispiel samt Entourage für zwei Tage auf die griechische Insel Mykonos, während die anderen Fahrer bei einem offiziellen Fan-Fest in London mit ihren Rennautos ein paar Runden am Trafalgar Square drehten.

In den vorliegenden Leasingverträgen ist festgehalten, dass Lewis Hamilton seinen Jet 80 Stunden pro Monat selbst nutzt und eine seiner Firmen 160 Stunden. Geht man daher davon aus, dass er das Flugzeug zu einem Drittel privat nutzt, hätte er von den eingesparten 4,06 Millionen Euro Mehrwertsteuer auf den Import des Jets wenigstens ein Drittel – 1,35 Millionen Euro – für diese private Nutzung deklarieren müssen. Zudem wären die Leasingraten für die private Zeit im Jet zu versteuern gewesen. „Wenn es privaten Nutzen gab, ist das Steuerhinterziehung“, sagt Rita de la Feria, Steuerrechtsprofessorin an der Universität Leeds. „Lewis Hamilton hätte für jeden privaten Flug Mehrwertsteuer zahlen müssen.“ Dafür könnte man ihn persönlich haftbar machen, fügt sie hinzu.

De la Feria hat den Fall für die britische Tageszeitung Guardian, Recherchepartner der SZ bei den Paradise Papers, analysiert. Die Steuer-Expertin hält das Schauspiel, so zu tun, als betreibe man ein reguläres Leasinggeschäft mit Flugzeugen, für absolut fragwürdig: „Dieser Jet wird nur an eine einzige Person vermietet. Das Konstrukt ist komplett künstlich.“ Tatsächlich ist Hamiltons Jet zuallererst für ihn da, der Flugbetrieb ist nur auf ihn zugeschnitten. Damit er den Jet benutzen kann, braucht er Piloten und eine Crew, die für jeden Flug gebucht werden. Hamiltons Anwälte behaupten hingegen, dass die Flugzeug-Struktur gesetzeskonform ist und weder Steuerhinterziehung noch Missbrauch darstellt. Sie bestreiten sogar, dass die Einfuhr über die Isle of Man ihrem Mandanten irgendeinen Steuervorteil bringt.

Offshore-Konstruktionen wie die von Hamilton setzt Appleby in der Regel zusammen mit der Unternehmensberatung Ernst & Young (EY) auf. Praktischerweise ist die lokale EY-Dependance in Douglas, der Hauptstadt der Isle of Man, nur etwas mehr als 300 Meter von der Appleby-Niederlassung entfernt: Einmal rechts abbiegen, den Hügel hinauf, es ist das graue Eckhaus mit dem diskreten EY-Logo auf einem einzigen Fenster. Die Unternehmensberatung erklärt auf Anfrage, dass solche Leasing-Arrangements komplett legitim, akzeptiert und kommerzielle Praxis seien.

Die Regierung der Isle of Man hat das britische Finanzministerium Ende Oktober dennoch eingeladen, ein Gutachten über die Flugzeugdeals bis Ende 2018 zu erstellen. Zudem hat die örtliche Zollbehörde, die jede Jet-Leasing-Struktur ohnehin schon vorher genehmigen muss, vor einem Jahr damit begonnen, die Deals zu überprüfen: Bei einigen dieser Geschäfte sei der Mehrwertsteuererlass falsch berechnet worden.

Auch zur Zollbehörde haben es die Appleby-Mitarbeiter übrigens nicht weit: Es sind nur 250 Meter den Hügel hinunter bis zum alten Bahnhof. Hinter dem Backsteingebäude fahren heute nur noch alte Dampflokomotiven mit Touristenzügen ab. Am Nebengebäude weist ein Schild den Weg: „Zoll- und Mehrwertsteueranfragen.“ Es ist eben ein Ort der kurzen Wege.

Ein ganz ähnliches Briefkasten-Modell wie für sein Flugzeug findet sich in den Paradise Papers auch für das Motorhome von Lewis Hamilton. Solche bewohnbaren Sattelschlepper dienen Formel-1-Fahrern während der Rennen in Europa als Rückzugsraum und eine Art Schaltzentrale. Hamiltons 2015 angeschafftes Motorhome stammt von einem deutschen Hersteller, auch für dieses Fahrzeug wurden eine Firma auf der Isle of Man und ein Leasing-Modell eingerichtet. Völlig legal, sagen Hamiltons Anwälte, da das geräumige Fahrzeug ausschließlich  für  geschäftliche  Zwecke genutzt werde. Das Motorhome bekam Lewis Hamilton offenbar pünktlich zum Großen Preis von Belgien im August 2015 geliefert, zum Nettopreis (ohne Mehrwertsteuer) von 1,77 Millionen Euro. Das Rennen in Spa hat er gleich mal gewonnen.

Beim Steuertrick mit dem Jet und dem Anschaffungsmodell rund ums Motorhome spielt die BRV Limited eine tragende Rolle, eine Briefkastenfirma, die auf der Kanalinsel Guernsey angesiedelt ist – und die Lewis Hamilton gehört. Die BRV least den Truck und oft auch das Flugzeug. Aber auch für andere Geschäfte nutzen Hamilton und seine Berater diese Firma, so läuft etwa der Vertrag zwischen ihm und dem Mercedes-Rennstall über sie. Das geht aus einem Mailverkehr hervor, der sich in den Paradise Papers findet. Durch den Vertrag, der noch bis Ende 2018 läuft, sollte Hamilton nach Informationen der britischen Zeitung The Telegraph rund 45 Millionen Euro pro Jahr verdienen.

Für Einnahmen aus Werbe- und Sponsoringverträgen hält Lewis Hamilton, man ahnt es bereits, noch eine Briefkastenfirma, diesmal in der Steueroase Malta. Der Name: 44IP Limited. Die 44 ist Hamiltons Startnummer im Formel-1-Zirkus und längst sein Markenzeichen. Er behielt sie, obwohl ihm als Weltmeister die Startnummer 1 zugestanden hätte. Ein Zahlenwechsel hätte der Marke, dem Produkt Lewis Hamilton wohl nicht gutgetan. Und das Geschäft brummt: Das Wirtschaftsmagazin Forbes prognostiziert Hamilton für dieses Jahr Werbeeinnahmen von rund 6,7 Millionen Euro, etwa durch Kampagnen für Hugo Boss, den Kosmetikkonzern L’Oréal oder die deutsche Sportartikelfirma Puma. Der 44IP Limited wird auf Malta wie jeder Firma, die Ausländern gehört, fünf Prozent Körperschaftsteuer berechnet.

Malta, Guernsey, die Isle of Man, solche Schattenplätze des internationalen Geldverkehrs verbinden die Formel-1-Fans nicht gerade mit Lewis Hamilton. Sein Image inszeniert der Weltstar im Blitzlichtgewitter, mit der Zahl 44, den charakteristischen Sonnenbrillen und seinen selbst weltberühmten Bulldogen Coco und Roscoe. Oder eben mit diesem Flugzeug. Die Hände in den Pullovertaschen, das Basecap verkehrt herum, so steht Hamilton lässig auf einer Landebahn, hinter ihm sein roter Jet. Dieses Foto zeigt er auf Instagram, darunter steht: „Nur ein Junge aus UK mit einem Traum.“ Hashtag: #MegaJet.

Ein Traum auch, dass Lewis Hamilton damit sogar Steuern sparen konnte, die jeder einfache Junge bezahlen muss, wenn er sich ein Ticket für ein Formel-1-Rennen kauft oder auch nur eine Dose der neuen Lewis-Hamilton-Sonderedition des Energydrinks Monster – selbstverständlich mit aufgedruckter 44.

Mitarbeit: Juliette Garside, Tim Robinson